Wiederholung und Widerstand

Sue Bringer, Vejby/DK, 2010-08-12

Lernen, Proben, Denken

Die Wiederholung beim Lernen, Einzelworte, Text, die Wiederholung einer Szene, eines Bewegungsablaufes, der Wiederherstellung einer Präsenz, der Wiederherstellung von 'Natürlichkeit'. Die Wiederholung in der Meditation, die Herstellung einer spezifischen Konzentration, das Ausschalten von Gedanken. Die Wiederholung von Gedanken, die zur Gewissheit führen und/oder die Reflexion vertiefen, die Wiederholung, die es braucht, um einen Gedanken weiter zu denken, zu Ende, temporär fertig zu denken.

Jede Wiederholung ist ein Fortschritt, ein Weiterkommen, eine Weiterentwicklung. In der Wiederholung macht sich das Unbekannte, das Unbemerkte bemerkbar, gibt sich das Unerkannte und somit Unbekanntes zu erkennen. Jede Wiederholung ist eine Auseinandersetzung mit Widerständen. Die Wiederholung ist, weil etwas im zu Wiederholendem noch nicht zum Zuge gekommen ist, diesem noch nicht die Aufmerksamkeit erteilt wurde, derer es bedarf. Das Widerständige triggert die Wiederholung. Der Geist strebt nach dem Durchdringen, Erkennen, Durchschauen, Er- und Durchblicken des Widerständigen. Das umfassende Verständnis des Widerständigen erst ist der Tot desselben, macht das Unbekannte zum Bekannten, zu einer zuordbaren Größe, zu einem bekannten, durchschauten und somit einschätzbaren Gegenüber. Das Verstehen ist ein Verstehen im Umgang mit dem ursprünglich sich als Widerständiges Manifestierenden. Der Widerstand wird gebrochen, ist das Widerständige allumfassend erkannt.

Der Geist, die Reflexion holt sich das Widerständige wieder und unterzieht es der genauen Bearbeitung. Ist der Bearbeitungsprozess nicht abgeschlossen oder fehl geschlagen, hat er nicht zum gewünschten Ergebnis, der vollständigen Erkenntnis und Niederschlagung des Widerständigen geführt, so wird es zur Wiederholung, zur erneuten Bearbeitung des Widerständigen kommen.

In der Wiederholung steckt die Entdeckung. Durch die Wiederholung werden Entdeckungen, Neuentdeckungen im Bekannten möglich. Das Widerständige in der Wiederholung erst triggert die Reflexion, die Aufspaltung. Die Aufspaltung ist die Betrachtung des Einzelnen im Ganzen und die Erkenntnis von Bezügen und Benennung der Art dieser Bezüge.(Fußnote1) Die Wiederholung an sich ist niemals die vollständige Wiederholung etwas Bekanntem. Mit jeder Wiederholung gibt sich etwas Neuartiges zu erkennen. Das Widerständige ist in der Erkenntnis als Ganzes neuartig. Die Wiederholung wird durch das Widerständige ausgelöst. Durch die Intervention des Neuartigen, als Neuartiges in Erscheinung Tretenden wird die Wiederholung erst geboren. Das Widerständige, Unbekannte, noch Unentdeckte und sich zu erkennen Gebende ist Geburt und Tod der Wiederholung zugleich.

Wiedersehen, wiederholte Begegnung

Die Wiederholung im Essen, kein Gericht schmeckt gleich, kein Bissen schmeckt gleich. In jeder aufmerksamen Nahrungsaufnahme steckt das Potential der überraschenden Entdeckung oder der erinnernden Neuentdeckung. Die wiederholte Begegnung, das Wiedersehen mit dem Anderen.

Jedes Wiedersehen ist Wiederholung einer Begegnung und doch niemals gleich. Jedes Wiedersehen ist eine erneute Begegnung und somit neues Erleben. Neben weiterer Neuentdeckungen haben die im gemeinsam verlebten Zeitraum erlebten Eindrücke, der Austausch und die Ereignisse eine Wirkung, festigen oder zerrütten den Bezug, führen zur weiteren Begegnung, zu weiteren Neuentdeckungen und Austausch oder zur Trennung. Der Bezug zum Anderen, der ursprüngliche Link wird reaktualisiert. In diesem Sinne bewirkt die Wiederholung Neues im Alten, oder Altes erfährt eine Veränderung und wird zeitlich gesehen erneuert, letztlich reaktualisiert.

Regelmäßige Wiederkehr

Sonnenauf- und -untergang, Jahreswechsel, Jahreszeiten, Uhrzeit, Taktum. Wiederholung im Sex, die regelmäßige Befriedigung, Milch trinken, Haut anfassen, auf Toilette gehen, sich ansehen, schlafen gehen. Jede Nacht der Nachtschlaf.

Regelmäßige Wiederkehr und Wiederholung haben verschiedene Eigenarten. Die Wiederholung ist der regelmäßigen Wiederkehr inhärent. Die regelmäßige Wiederkehr ist Rhythmus, Taktum, sie markiert das Voranschreiten der Zeit, mit/in ihr manifestiert die Zeit. In ihr ist die Wiederholung und in der Wiederholung ist die Zeit das Neuartige, unheimliche Element, das der Wiederholung bedarf, die Wiederholung erfordert, unheimlich weil widerständig im Wunsch nach ewiger Jugend, wider das Trägheitsprinzip, verändernd und intervenierend aber niemals vollends zu berechnen, zu erkennen, zu verstehen, zu respektieren und akzeptabel.

Andernfalls gründet die regelmäßige Wiederkehr auf wiederkehrenden Bedürfnissen, welche ihren Grund meist im Trieb haben, auf der Unmöglichkeit der vollständig endlichen Befriedigung. Diese Wiederkehr ist Wiederholung in dem Sinne als das unbegreifbare Gefühl der Unvollständigkeit als Widerständiges interveniert. Widerständig gegen volle Befriedigung und/oder Narzissmus. Aufgrund dieses Unbegreifbaren und des nicht akzeptablen Gefühls werden die mit der Befriedigung dieser triebhaften Bedürfnisse verbundenen Tätigkeiten und Handlungen regelmäßig wiederholt.

Die Wiederholung an sich kann jedoch regelmäßig und unregelmäßig sein, auf- oder eintreten.

Das Unheimliche des Déjà-Vu ist die unregelmäßige Wiederholung, in ihrer Unregelmäßigkeit meist keiner Taktung zuordbar. Und darüber hinaus meist auch nicht dem gleichen Medium zuordbar oder in ein und derselben Realität auftretend. Das Unheimliche des Déjà-vu ist die Wiederholung über Realitäten und Lebensräume hinweg, diese transzendierend. Und welches ist der Grund für eine solche Wiederholung, welches der Widerstand, der meinen Verstand diese Wiederholung unbewusst bewusst ausführen lässt? Oder, welches ist der Grund, der Widerstand, das Besondere, Unbekannte, Unheimliche, evt. eine Gefahr, die mein Unbewusstes dazu gebracht hat, mich diese Realität einmal zuvor im Nacht- oder Tagtraum erleben, sehen zu lassen?

Einzelne Worte, Scratching und Aufspaltung...

Die Wiederholung eines einzelnen Wortes verleiht diesem Kraft, lässt es in seiner ganzen Bedeutung erblühen, das Wort prägt sich durch die Wiederholung ein und verlangt in der Wiederholung weiterer Reflexion, Deutung, Interpretation, nach der vollständigen Erkenntnis seines Bedeutungspotentials und dieser Vielzahl in verschiedene Richtungen weisenden und reichenden Bedeutungen. Das Wort verlangt nach der Erkenntnis seiner Bedeutungen an sich, aber auch seiner Bedeutung im, wenn das der Fall ist, zuvor meist textuell gegebenen Bedeutungszusammenhang, seiner Bedeutung im Bedeutungskontext. Mit zunehmender Wiederholung seiner selbst rücken jedoch die Bedeutungen des Wortes an sich gegenüber seiner Bedeutung im Bedeutungskontext in Vordergrund.

Die unendliche Wiederholung eines einzelnen Wortes verweist mit jeder seiner Wiederholung auf seinen Klang, das Wort als Klangpartikel oder als abgeschlossene musikalische Einheit, welche wiederum einen bestimmten Gestus, Klanggestus, eine Rhythmik, Bestimmtheit in der Setzung von Vokalen und Konsonanten ist, die mit mehr oder weniger Gewicht aufeinander knallen, folgen, zu einem Lautabschluss führen oder den Laut weiter führen. Das Einzelwort als musikalische Einheit und Vielfältiges in der Konnotation, Bedeutungsvielfalt. Steve Reich hat mit seinen early Works ein bestes Beispiel gegeben, was die Wiederholung eines einzelnen Wortes, seine Zerlegung in Einzelteile und deren Wiederholungen und Überlagerungen in sich birgt.

Die potentielle Bedeutungsvielfalt blitzt zudem in der zeitlich getrennten Nennung auf, entreißt das Wort dem ihn bedeutungsmäßig einschränkenden Kontext. Das theatercombinat mit Claudia Bosse an der Spitze hat mit der Sprechpartitur von u.a. „die perser“ von Aischylos einen Versuch gestartet, den einzelnen Worten im Sprechen eines gesamten Textes jeweils für einen kurzen Moment zu ihrer vollen Autonomie zu verhelfen. Die Überbetonung der Vokale und Konsonanten im einzelnen Wort zueinander ist ein Hineinfühlen, eine Gewichtung seiner Einzelteile, ein Hervorscheinen lassen seiner Melodie und Rhythmik, welche für seine Bedeutung wichtige Setzungen in sich bergen, Bedeutungsträger sind. Der Tonfall, die Lautstärke, der Druck in der Stimme, die Bestimmtheit im Unterschied und Entwicklung zueinander, mit der es gesprochen wird, sind als weitere Bedeutungsträger, -transporter zu erkennen, unabhängig vom Wort und seinen Bedeutungen an sich. Sie sind eine andere Art Zusammenhang, in dem sich das sprechende Subjekt einmischt und weitere Setzungen vornimmt, aus dem Willen heraus mit dem Wort eine bestimmte Sache zu kommunizieren und Gewichtungen vorzunehmen. Da sind wir dann bei der Rhetorik, innerhalb deren Bedeutungsproduktion das einzelne Wort meist nur mehr Sklave ist. Werden jedoch wie bei Claudia Bosse, alle Worte nur noch in ihrer ihnen eigenen Ästhetik formuliert und so in möglichst gleich bleibender Lautsärke, Druck der Stimme und Betonung seiner Einzelteile gesprochen, so passiert im Prinzip eine Ausschaltung des Sprechenden als kommunizierendes Subjekt. Der Performer wird zum blosen Sprecher, zum Lautbuilder, zum Sklaven der Wörter. Perfide für den Performenden. Auch wenn Claudia Bosse das Sprechen ihrer Sprechpartituren in Blöcken aufeinander folgend mit den Möglichkeiten der Stimme wie dem Schreien oder Flüstern inszeniert, so bleibt der Performer doch als Subjekt ausgeschaltet. Das Schreien oder Flüstern ist in dem Fall der Versuch, den Kontext des Gesamtepos in der aufgespaltenen Kontextlosigkeit im Versuch um die volle Autonomie und Souveränität der einzelnen Wörter scheinbar zusammenhanglosen Aneinanderreihung von Worten, zu kommunizieren. Der Zusammenhang des Epos erscheint rein in der Zeitlichkeit, welche diese Aneinanderreihung in der Abfolge braucht. Das Schreien und Flüstern sind der Versuch, dem übergreifenden Zusammenhang Ausdruck zu verleihen, der im Text beschriebenen Situation oder der Situation des imaginären Subjekts, das diese Worte aus der Situation heraus spricht, im großen Zusammenhang des Epos, das gerade aufgeführt wird, Ausdruck zu verleihen, Gewichtungen vorzunehmen, Markierungen zu setzen und letztlich Rhythmuswechsel zu realisieren.

Chicks on speed geht, was die Aufspaltung angeht noch einen Schritt weiter. Hier ist es nicht mehr nur die Aufspaltung des Zusammenhangs und die temporäre Abspaltung des Wortes aus einer Reihe, sondern hier wird das Wort selbst in seinem Klang und seiner Bedeutung aufgespaltet. Dafür ist signifikant, dass die Aufspaltung, also das partikulare Verlauten des Wortes, der Einsatz einzelner Laute des Wortes erst in der Wiederholung eingesetzt wird. Meist wird das Wort zu aller erst in der Reihe präsentiert. Die Wortreihe ist ein Satz. Der eine Satz formuliert einen Bedeutungszusammenhang und in diesem, auf seine Rolle in diesem Zusammenhang reduziert, erscheint das eine Wort, das im weiteren Verlauf als Einzelnes ohne die Reihe oder andere Worte verlautet lassen wird. Erst hier entfaltet es mit zunehmender Wiederholung seinen Sinn. Seine Bedeutungsvielfalt erfährt zudem Ausdruck und dem hörenden Subjekt vermeintlich fern erscheinende Schwerpunktsetzungen oder die begleitende Entwicklung und Gegenüberstellung der verschiedenen Bedeutungen in der Musik. In der Musik, wie soll ich sie beschreiben, die getrennt von dem Wort als Klangliches beschrieben werden muss. Das scheint unmöglich, aber sagen wir, in der Musik, welche keine einzelnen Buchstaben in sich birgt. In der das Einzelelement auf dem Notenblatt eine Note ist, oder eine Sinuskurve mit bestimmtem Verzerrer. Ich weiss es nicht, da stoße ich an die Unnotierbarkeit elektronischer Musik und all ihrer Herstellungsmöglichkeiten. Die Benennung des Instrumentes, seiner Art der Tongeneration, Aufnahme oder Einsatzweise.

Das Wort wird in seine Bestandteile zersetzt. Einzelne Bestandteile werden als musikalisches Moment für diese nicht notierbare Musik eingesetzt und sind in ihrer Wiederholung fortlaufender Rhythmus oder Bremse.

verfasst von Sue Bringer, Vejby/DK, 2010-08-12

(Fußnote 1)

Auch ermöglicht die Aufspaltung, die Betrachtung des Einzelnen im Ganzen und der Art seines Bezuges zum Anderen im Ganzen, die Herstellung neuer Bezüge, die assoziative Verkettung seiner selbst und der Untersuchung seiner Beschaffenheit mit seiner elementaren Wiederkehr in völlig fern liegend erscheinenden Zusammenhängen.