Während Schauspieler darauf trainiert sind, Dinge zu behaupten, die nicht wirklich da sind, suchen Performer die Erfahrung des Realen, sie fordern Verhältnisse heraus, suchen die Erfahrung derselben und ihrer eigenen Bedingtheit in ihnen. Die lapidar dahergesagte Unterscheidung des 'als ob' versus des 'was ist' verknüpft mit dem Impact, den das, was ist auf mich hat und wie ich mich dazu verhalte, wie ich, mein Körper in dem funktioniert, ist nicht oberflächlich sondern fundamental. Dieser Unterschied wird über den Moment der Aufführung oder Performance hinaus in Arbeitsweise, alltägliche Kommunikation und Formen der Auseinandersetzung realisiert.
Während der Schauspieler darauf trainiert ist, eine vorhandene Situation für den Zweck einer Behauptung zu nutzen, oder eine nicht vorhandene Situation als real zu behaupten und immer ein doppeltes, zweifaches, dreifaches oder in vielen Dimensionen mehrfaches Spiel spielt, in dem die Komponente der Behauptung, der aufgesetzten Maske bis hin zur größtmöglichen Verschmelzung mit derselben den Aspekt des Kaschierten, Verdeckten, des Gedankens hinter dem Lächeln oder der fratzenartigen Grinse immer mit einher geht. beim schaupiel: das Reale wird versteckt und/oder nicht wie bei der Performance herausgefordert. Der Schauspieler wird das Reale kaschieren oder übertünchen In dem Moment ist der Performer nackt, er sucht die brutale Nacktheit. Während der Schauspieler eine Schlagtechnik trainiert, welche auf Wirkung beim Zuschauer abzielt, die ihn selbst jedoch unversehrt lässt, sucht der Performer den wirklichen Schlag, die maximale Wirkung des Sachlags auf ihn selbst, die Ermüdung, die blauen Flecken und deren Körperlichkeit. Er sucht die Grenzen seiner Möglichkeiten, er sucht das Unmögliche selbst. Der professionelle Schauspieler treibt die Kunst der Behauptung einer nicht vorhandenen Realität im Spiel um Aufmerksamkeit und Wirkung soweit, dass er oder sie schließlich mit der Behautung so verschmilzt, er selbst die Distanz zur Behauptung selbst nicht mehr einzuschätzen weiß und von seiner eigenen Behauptung durchdrungen wird. In dem Fall verliert er seine Souveränität, er gibt die kritische Außenperspektive, das objektive Auge, das die Situation und ihre Rahmung immer vom Realen zu unterscheiden weiß, auf. Er wird vom Täter zum Opfer seiner eigenen Behauptung. Oder aber er sucht die Differenz der Behauptung zu zeigen, die Ilusion durch die Distanzierung und von der behaupteten Realität wiederholt zu brechen. Oder er greift in der Medialisierung seiner Bahuptung zum Artifiziellen und führt so jedem das behauptende Moment seiner Behauptung vor. Dieses Moment ist für den Zuschauer jedoch meist ein sehr unbefriedigendes Spiel der glasierten Leere. Der Performer sucht nicht die Behauptung sondern die Erfahrung. Der Performer sucht Verhältnisse oder schafft Verhältnisse und Anforderungen, denen er sich aussetzt. Der Performer schafft Verhältnisse, welche ihn bedingen. Und die Performance besteht in der Herausforderung der Bedingung, der Erfahrung der Bedingtheit, im Kampf mit dem Unmöglichen bis hin zur Erfahrung des Unmöglichen selbst.
Schauspielern gehören Performances verboten. Ein Schauspieler, der eine Performance behauptet ist eine Beleidigung für die Performancekunst selbst, eine Beleidigung für jeden Performer. Er führt die Performance ad absurdum. Er wird niemals performen können, er wird immer schauspielen, Schau spielen. Ein ausgebildeter Schauspieler ist für die Performance für immer verloren. Selbst im Versuch um die Erfahrung des Realen, wird er im Zweifelsfall, im Akt der Performance letztlich bewusst oder unbewusst immer zum Schauspiel, zur Behauptung, zur seinerseits angelernten Maximierung des Wirkungspotentials einer Situation beim Zuschauer durch die die Verhältnisse behauptende Dramatisierung greifen. Im Kampf, im Moment des Prügelns und der Ermüdung wird er das bischen Erfahrung seiner körperlichen Ermüdung dramatisieren und als sehr viel größer behaupten. Ein Schauspieler konzentriert sich auf die Außenwirkung und deren designte Weiterführung einer vorhandenen Situation. Das ist seine Bedingtheit, die ihn Schauspieler werden lässt.
Schauspiel ist immer vor und für Publikum. Ohne den Schauenden kein Schauspiel. Die Performance braucht das Publikum nicht. Das Publikum einer Performance öffnet das Spektrum von Verhältnissen, Bedingungen und Potentialitäten. Das Publikum ist nicht nur, aber vor allem in Aufmerksamkeit und Konzentration Kraft-Gebendes, Energiepotenzierendes und daher bei der Auslotung von Grenzen, der Grenzüberschreitung und der Erfahrung des Unmöglichen. Der Performer ist mit Publikum zu Dingen fähig, Ausreizung, Kraft, Energie, keinerlei Schmerzerfahrung, das Publikum potenziert die Möglichkeiten des Performers.
Ein ausgebildeter Schauspieler ist für die Performance für immer verloren, er wird immer schauspielen, Schau spielen.
Wicke-Aengenheyster, Berlin, 2012-11-23