Lena and her Burka

von Agnes Hansch, Berlin 05/2010

Früh am Morgen an einem Sonntag kommt sie an: ich hör sie alle Stufen bis in den vierten Stock hinauf stampfen, höre sie rufen: “Agnes? Bin ich hier richtig?” (seit ich umgezogen bin, besucht sie mich zum ersten Mal – meine Freundin Lena -- befreundet seit zehn Jahren sind wir, kennen uns sehr genau, nur meine neue Wohnung kennt sie noch nicht) „Agnes?“ Lenas laute Stimme, dann steht sie vor mir, aber das ist nicht Lena, denk ich für einen Augenblick, es hat sich jemand verkleidet „bist du´s? Oh je, ich erkenne dich nicht!“

Vor mir steht ein schwarzes Monster, man in black, also woman, und richtig black, nämlich schwarze Tücher, die sie verhüllen, selbst das Gesicht, „ja Lena, bist du´s? bist du´s wirklich?“ meine Lena, denke ich, „ja, komm rein, was machst du für Sachen?“ Lena´s Augen blitzen mich an durch winzige Schlitze, blinzeln mich an so schelmisch wie eh und je, und sie fragt: „na, was sachste? Das ist mein neues Projekt!“

Mit großen Schritten tritt sie in die Wohnung, ich weiche zurück, dann nehmen wir uns in den Arm, „Anneli, come, come here and have a look at Lena“ ruf ich meine Tochter herbei, sie ist vier, „look what Lena´s been doing, come and see what she looks like!“

Jakob, mein kleiner Sohn, gerade mal eins, sitzt auf meinem Arm und klammert sich an mir fest. Lena zieht sich den Schleier ab, sie lacht.

Später gehen wir auf den Spielplatz, die Kinder, Lena und ich, und als wir die Treppe hinunter laufen, unterhalten wir uns angeregt, wie eh und je, wie eigentlich immer, wenn wir zusammen sind, es gibt so selten Momente der Ruhe und Pausen, in denen wir uns ausruhen, immer müssen wir sprechen und reden, dabei stört es kein bisschen, das Stück Stoff, das sie nun vor sich hat.

Im Haus hatte sie es ja abgezogen. Mir das Projekt erklärt. Es geht eine ungeheure Kraft von dieser schwarzen Masse aus. Wie stark diese Kraft wirken kann, erfahren wir, als Lena voll verschleiert und sich dennoch laut und unbeschwert bewegend, so wie sonst auch, den Kindern widmet, sie schiebt Anneli auf dem Fahrrad, stützt sie, der Schleier verrutscht zur Hälfte, der zweite Schleier gleitet über ihr Gesicht, sie kann so immer noch alles sehen, nur wir sehen nicht mehr ihre Augen – sie will die Tücher zurecht rücken und zugleich Anneli stützen, Anneli beschwert sich, und einige Männer, die in der Nähe rumstehen, beschweren sich sofort: „nimm doch die Burka ab, dann siehste was!“ Lena bemerkt diese Rufe nicht. Die Männer starren uns schon lange an. Schockiert. Sie machen sich über sie lustig, schimpfen leise vor sich hin, und sind sich anscheinend alle einig in der ganz klaren Ablehnung: so was gehört verboten.

Lena turnt auf den Spielgeräten herum, der schwarze Rock rutscht ihr bis zum Knie, man kann ihre Hosen sehen. Die Leute tuscheln. Ein Trupp Männer (wieder Männer) läuft an der Straße entlang, sie rufen „Knallt den schwarzen Mann ab!“

Denken sie, Lena sei ein Mann, wegen ihrer etwas tieferen, lauten Stimme? Oder meinen sie den Schwarzen „an sich“, als ob es so was gäbe.

Meine Kinder stören sich kein bisschen an Lena´s Kostüm.

Doch bei allen anderen erregt sie großes Aufsehen. Man spürt eine Art Zittern und Vibrieren, eine interessante Spannung ist in der Luft.

Lena zeigt die Teile ihrer Aufmachung allen, die es interessiert. Sie ist die Attraktion unter meinen Freunden. „Ach, und du hast auch noch Handschuhe dazu?“ genau, diese schwarzen, der Stoff wird ganz spitz an den Enden der Finger. Der Rock, den sie über die Hosen zieht, ist ein bisschen zu eng für Lena´s Riesenschritte. Sie hat einfach zu lange Beine und einen zu flotten Gang. Aber das ist die einzige Behinderung durch den Schleier.

Burka. Alle nennen es Burka. Dabei hat es doch einen ganz anderen Namen. Burkas haben doch dieses Gitter vor den Augen, nicht wahr?

Ich erzähle von Freundinnen aus dem Studium, Muslimas, die sich sehr gerne auf facebook zum Beispiel mit Schleier ablichten ließen, mit schönen, geschmückten, edlen Stoffen, so dass man nur die Augen sieht. Der Schleier, erotisch. Lena´s Schleier hier: Ganz schwarz. Die Horrorvision eines jeden West-Europäers. Ich erinnere mich, dass ich zum ersten Mal „live“ eine solcherart verschleierte Frau auf einem Spielplatz in England sah. Dass ich damals auch immer zu dieser Frau hin starren musste. Der Hingucker war sie. Von wegen „verschwinden“ und so - und wie befremdlich mir das war! Und wie ich dann erst nach einer Weile sah, guck mal, sie redet ganz normal mit ihren Bekannten, ihren Freundinnen, sitzt auf der Bank, kümmert sich um ihr Kind. Aus welchen Gründen sie das wohl trug?

Ich erzähle Lena, dass einer der britischen Top-Politiker, war es Gordon Brown, in einer Versammlung in Northern England, der Gegend, in der ich damals war, einer Gegend, in der viele Ausländer lebten (unter anderem mein Mann), dass dieser Politiker auf einer Versammlung eine voll verschleierte Frau bat, den Raum zu verlassen oder den Schleier abzuziehen. Es sei undemokratisch, wenn man seinem Gegenüber nicht ins Gesicht sehen könne. Ähnliches habe ein Dozent an einer Uni in Deutschland gesagt. Dass man doch sehen möchte, mit wem man es zu tun habe. Das sei auch verständlich. Gordon Brown habe das aber damals „nur“ gesagt, so wurde es in den Kommentaren besprochen, um sich als Hardliner zu profilieren, als einer, der sich nicht so schnell weich kochen und beeinflussen lässt.

Im Sudan, dem Herkunftsland meines Mannes, gab es immer mal wieder, aber eher selten, voll verschleierte Frauen. Mein Mann machte darüber Witze, er sagte, häufig seien es Frauen aus der upper-class, die allen zeigen wollten, wie besonders fromm sie seien.

Als wir bei Freunden auf dem Markt standen, sie waren Händler mit Stoffen und Kleidern, und unter anderem stand dort eine Büste mit schwarzem Schleier, so wie Lena jetzt einen trug, die Männer, die dort als Verkäufer arbeiteten (sowie ihre Freunde, die nichts zu tun hatten und dort einfach abhingen) machten Witze darüber, „like ninja-fighter“, sagten sie, ich lachte, und machte ne Kung-Fu-Bewegung nach. Klar, unter so einem Tuch kann man sich auch richtig gut verstecken und kämpfen!

Ach, noch eine weitere hijab-Geschichte: angeblich soll Michael Jackson (Gott hab ihn selig), der in Abu Dabi oder einer anderen Stadt am Golf eine Zeit verbringen und unerkannt shoppen gehen wollte, ein solches schwarzes Tuch getragen haben, und trotzdem von einer Mitarbeiterin im Shopping-Mall erkannt worden sein – stell dir mal vor: du bist so berühmt, alle Welt kennt deine Augen. Die Verkäuferin fing an zu schreien, das ist Michael Jackson, der berühmte Michael Jackson, es gab einen Massenauflauf, Michael wurde erkannt, alle zogen an seinen Kleidern – er musste fliehen, der Masse entkommen.

Solche Geschichten erzähle ich Lena. Sie berichtet mir ebenfalls von den Reaktionen von Freunden, Bekannten, Fremden im Zug.

Die Burka wird als das Fremde entdeckt und wahrgenommen. Tendenziell: bedrohlich. Ich erzähle noch davon, dass ich mich mit dem Tuch und dem Kampf dagegen während meines Studiums wissenschaftlich beschäftigt habe, Islamwissenschaft, und dass ich da auf eine seltsame Verbindung zwischen Feministen und dem imperialistischen Großbritannien gestoßen war: der Schleier wurde als frauenfeindlich kritisiert, jedoch von Leuten (z.B. dem 1. Earl of Cromer, Generalkonsul in Ägypten von 1883-1907), die in England aktiv gegen die Suffragetten-Bewegung kämpften, er war sogar Mitbegründer und Haupt einer Organisation, die sich vorrangig diesem Ziel widmete. Mit der Ablehnung des Schleiers kann er also nicht das Wohl der Frauen im Sinne gehabt haben, es ging vielmehr um die Abwertung einer Andersartigkeit, man musste Gründe dafür finden, warum die unterdrückten, besetzten Gebiete der britischen „überlegenen“ Führung bedurften.

Die Frage also ist, ob der Feminismus in diesem Falle Helfer des Imperialismus war. Und die Frage stellt sich, ob Feminismus nicht heute eine super Unterstützung für den Kapitalismus liefert, wenn es darum geht, dass eben auch alle Frauen sich dem Diktat zu arbeiten ausliefern sollten.

Aber das nur am Rande. Mit vielen Thesen zum Thema Feminismus und Queer, Anderssein usw. bewaffnet (denn das betrifft meine aktuellen Pläne und Projekte) habe ich beschlossen, zum ersten Mal in meinem Leben ohne BH auf die Straße zu gehen.

Es ist Dienstag früh. Die Kinder sind bei meiner Mutter sicher untergebracht und werden da gepflegt. Lena hat Freunde mitgebracht, mit denen wir bis spät in die Nacht diskutiert hatten, kiffend auf dem Balkon, diskutiert, spekuliert, phantasiert usw. neue Gedanken in die Welt gedacht.

Und ich mit meinen queeren Ideen nun ohne BH auf der Straße, neben mir dir flotte Lena im Ausholschritt ratsch ratsch raschelt die Burka, der schwarze Stoff fetzt ihr um die Knie, sie macht viele kleine Schritte doch wir sind schnell und kommen gut voran, redend, redend, redend wie wir das immer tun, und solange ich Kontakt hab zu Lena´s Augen, ist alles wie sonst auch, alles zwischen uns ist wie immer, das einzige andersartige sind die Blicke um uns herum. Wir werden angestarrt, Leute gehen uns aus dem Weg. Wir sind in Berlin, es gibt viele türkische und arabische Menschen in der Umgebung meines Hauses, nein, es ist nicht Neukölln, trotzdem, wir begegnen mehreren verschleierten Frauen, mit bunten Tüchern allerdings, langen Mänteln, die ihre Einkaufstüten die Straße lang tragen oder ihre Kinder in die Tagespflege schieben – auch sie schauen uns an, es ist nicht einfach zu erkennen, wie ihre Haltung zu uns beiden Frauen ist – es ist sicher auch nicht einfach, einzuschätzen, wer wir sind, ich mit offenen Haaren, die im Winde so schaukeln, mit freischwingenden Brüsten, neben dieser dunklen großen Frau, und ich weiß nicht, lehnen sie uns ab, und wenn, aus welchen Gründen wohl, weil es zu streng ist und so nicht von Gott gewollt (nach ihrer Interpretation) oder zu auffällig, doch eigentlich recht.

So fuckin complicated is globalization. Die Mutter meines Mannes hatte in Saudi-Arabien gelebt. Ich fragte nach, ob sie denn da nicht gelitten hatte, ob sie den Schleier auch angelegt habe, sie versteht meine Frage sehr lange nicht, wahrscheinlich assoziiert sie nichts negatives oder „unterdrückendes“ mit diesem Kleidungsstück, not at all, und immer wieder sagt sie: Saudi-Arabien sei „good, good“ gewesen. „Very good. Islam there very strong!“ mit einer kräftigen Handbewegung kämpferisch. Kämpferisch, aber nicht aggressiv, sie ist so eine sanfte, ruhige Frau. Ruhig und klar.

Die einzige aus der Verwandtschaft meines Mannes, die voll verschleiert war, war eine dicke Tante, die sehr gut Englisch sprach, eine dicke lebenslustige Tante, die neun oder zehn Kinder geboren hatte, bisher, sie kam zu Besuch, als sie von meinem Besuch erfahren hatte, und sie war eine der lustigsten Personen, die ich im Sudan kennen gelernt habe. Sie machte laute Witze über alles und jeden, und entsprach überhaupt nicht dem Klischee-Bild, das wir immer haben. Mit dem Schleier fächelte sie sich Luft zu.

Lena und ich auf dem Weg zum Bäcker, wir werden angestarrt, und trotzdem funktioniert die Bestellung, zwei Brote und nen Kaffee, die Verkäuferin gibt uns alles Gewünschte, sie zeigt sich respektvoll, wenn auch überrascht. Das Fremde darf normale Dinge tun, Brote bestellen und Kaffee. Bestimmt blieb der Bäckersfrau dieser Moment im Gedächtnis.