Angelika Goldmann für die 'Wienerin'
Interview und Protokoll von Angelika Goldmann
Wien, August 2010
Als ich Lena Wicke-Aengenheyster zum Interviewtermin treffe, muss ich ihr sehr genau in die Augen schauen, denn eigentlich weiß ich nicht, wie die junge Künstlerin aussieht. Ich kenne sie nur von Fotos, auf denen sie Khimar und Niqab trägt. Ein bodenlanges schwarzes Kleidungsstück mit Gesichtschleier, nur ein Schlitz lässt die Augen sichtbar. Eine derart verhüllte Frau ist in Österreich ein zumeist seltener Anblick, hin und wieder sind einige Touristinnen aus Saudi-Arabien im 1. Bezirk zu erspähen. Lena bestellt einen Kaffee und wir reden darüber, wie es dazu gekommen ist. Im Rahmen einer künstlerischen Performance hat sie zwei Monate Niqab und Khimar getragen. Nur Sonntags hat sie das große Stück Stoff abgelegt. „Ab und zu habe ich eine Pause gebraucht, weniger von dem Gewand als von den Reaktionen.“
Die Idee zu dieser empirischen Kunstaktion kam der Dreißig-Jährigen im Zuge der aufflammenden Diskussion zum Thema Verhüllung, Burka und Co im Frühjahr diesen Jahres. In diversen Ländern, u.a. Frankreich, Belgien und Deutschland wurde über ein Verbot der Burka in der Öffentlichkeit debattiert und das Selbstbestimmungsrecht der Frau, wie Lena meint, beschnitten. „Ich finde, es muss mir als Frau frei gestellt sein zu entscheiden, welche Bekleidung ich trage.“, so Lena. Zu argumentieren, ein Verbot würde Frauen vor innerfamiliären Repressalien schützen, hält sie für problematisch. „Es gibt kein Verständnis dafür, dass eine Frau selbst entscheiden kann.“ Dieses Unverständnis prägt das Bild der verhüllten Frau im Allgemeinen. „Dass es Personen gibt, die sich aus freien Stücken heraus so kleiden, wird nicht zugelassen bzw. in der öffentlichen Meinung nicht akzeptiert.“
Einen muslimischen Hintergrund oder anderweitige Beziehungen zu religiös und kulturell bedingt verhüllender Kleidung hat Lena nicht. Allerdings empfindet sie die hautengen und wenig bedeckenden Auswüchse der aktuellen Modeströmungen auch für eine gewisse Gewalt am Körper. „Auf der Straße sieht man häufig Frauen oder gerade junge Mädchen, die sich und ihren Körper mit aller Gewalt, so scheint es, in zu enge Jeans und bauchfreie Oberteile quetschen, wohl um der aktuellen Mode zu entsprechen. Besonders glücklich oder frei sehen sie dabei jedoch nicht gerade aus. Eher hat man den Eindruck, ihr unzufriedener Blick rührt u.a. daher, dass ihr Körper nicht den von der Modeindustrie geforderten oder medial propagierten Maßen entspricht.“ Der Körper wird der Kleidung angepasst, nicht die Kleidung für den Körper gemacht, wie es eigentlich gehören sollte, findet Lena.
Anfänglich gab es Zwischenfälle beim Tragen des Khimar, z.B. wenn Lena beim Essen über den Tisch greifen wollte und dabei etwa ein Glas umgestoßen hat. Oder wenn sie ihre Messenger Bag quer über den Oberkörper hängen wollte und sie die Kleidung richten musste. Wenn ein Wind weht, bauscht sich der Khimar von unten auf, laut Lena eine angenehme Angelegenheit. Vom Gefühl her empfindet sie den Khimar eher wie einen Mantel. Er schützt vor Regen und Sonne und man trägt ihn nur beim Hinausgehen. Gekauft hat sie Khimar und Niqab in einem Laden in Hamburg, in Wien wurde sie nicht fündig. Auch über das Internet lassen sich die Kleidungsstücke beziehen, dabei ist auf das Material zu achten. „Die billigste Variante ist aus Viskose, das ist ein eher unangenehmes Material. Es gibt sie aber auch aus Seide oder Baumwolle.“
Die Reaktionen in Lena`s nahem Umfeld, sie lebt mit ihrem Mann in Wien, waren gespalten und für sie selbst oft überraschend. „Die Burka-Performance zieht viel Aufmerksamkeit auf sich und jeder will darüber reden. Das ging meinen Kollegen auf den Keks... .“
Auf der Straße hat sie unterschiedlichste Erfahrungen gemacht. In Berlin ergab sich ein nettes Gespräch mit einem muslimischen Taxifahrer. Nicht besonders gläubig und generell unverschleiert erlaubte sich die Familie einen Spaß. So erzählte der Taxifahrer, dass er und seine Frau einmal jeder in eine grelle Burka gekleidet in Berlin die Straße entlang spaziert sind. „Dabei haben sie seiner Erzählung nach viel gelacht und seine Tochter hat Fotos gemacht.“
Lena`s Erfahrungen waren Großteils positiver Natur. „Sobald sich ein gemeinsamer alltäglicher Nenner gefunden hat, ist der Umgang sehr hilfsbereit und freundlich.“ So geschehen etwa im Supermarkt auf der Suche nach einem bestimmten Produkt oder auf der Zugreise mit der Deutschen Bahn, wo Lena „zuvorkommenst“ behandelt wurde. „Nach der ersten Überraschung oder Irritation wird freundlich reagiert, einen gemeinsamen Horizont ansprechen, das ist wichtig. Dann wird die Kleidung unwichtig.“
Im Flugzeug gab es keine Schwierigkeiten und Lena ist öfters geflogen da es sie beruflich hin und wieder nach Deutschland und Frankreich verschlägt. „Ich hatte Komplikationen erwartet, aber niemand hat mich außergewöhnlich streng kontrolliert. Am Schalter wurde ich mit vollem Namen angesprochen. Es hat bei der Sicherheitskontrolle nicht gepiept und ich musste auch den Schleier nicht abnehmen“.
Lena spricht perfektes Deutsch, da sie geborene Deutsche ist. Das erwarten sich viele Leute eben nicht. Vielleicht reagieren sie deshalb freundlicher. Oder, meint Lena, es ist noch das kollektive schlechte Gewissen vom Nationalsozialismus her. „Also bloß nicht ausländerfeinlich sein...“.
Negative Beispiele gab es leider auch immer wieder. In Berlin vor einem Gemeindebau wurde ihr „erschießt den schwarzen Mann“ nachgerufen und in Wien ist ihr ein Junge mit dem Fahrrad hinten nach gefahren und hat dabei dauernd geklingelt. „Ca. 10 Jahre alt. Er war wie eine Schmeißfliege, die um Dich herum kreist.“
Glücklicherweise entwickeln sich aus unguten Situationen trotz allem immer wieder interessante Gespräche. Wie eines Abends vor einem Geschäftslokal in Wien, in dem eine Theaterperformance stattfinden sollte. Als Lena auf ihrem Fahrrad vorfuhr und ein Mann, der an einem kleinen Tischchen saß, ihr einen äußerst mißbilligenden Blick zuwarf. „An manchen Tagen zieht dich das total runter und nervt, aber an diesem Tag war ich gut drauf, habe direkt zurück geschaut und ihm zugezwinkert.“ Der Herr sah dieselbe Theateraufführung und danach ergab sich eine längere Unterhaltung. „Er dachte bei unserem ersten Blickwechsel – 'Mensch Alte, was lässt du da mit dir machen!' Ich habe ihm dann gesagt, das, was Du denkst, bekomme ich in Deinem Blick nicht mit. Ich spüre nur Deine totale Ablehnung!“ Das ist natürlich frustierend und vermittelt die falsche Botschaft. „Das, was du bist, ist nicht gut, du bist nix wert.“
Besondere Momente hat es auch gegeben. Als Lena im Niqab in der Nähe ihrer Wohnung mit dem Jeep eingeparkt, voll Gas gegeben und eine Punktlandung gesetzt hat. Natürlich hat sie vorher die beiden männlichen Teenager gesehen, die lässig an der Wand gelehnt sind, mit gegeelten Haaren, durchgestylt und eindeutig der muslimischen Gemeinschaft eine Gasse weiter zuzuordnen. Ihnen ist dann der Mund vor Staunen offen stehen geblieben, als dem Fahrersitz eine Lady im Niqab enstiegen ist.
Auch mit Frauen hat es besondere Erlebnisse gegeben. Eine Art geheimer Code, übermittelt durch Blickkontakt und dezente Gesten, z. B. in Linz bei einer Bushaltestelle. Drei junge Mädchen, alle in Sommerfarben verschleiert, haben herumgealbert und geschaut als sie Lena gesehen haben. „Sie haben gelacht und eine von ihnen hat den Daumen nach oben gezeigt. Ich hatte den Eindruck, das Zeichen war so ein yeah, mach weiter so - eine Ermutigung.“ „In der U-Bahn in Wien ist mir das mit einer Kopftuch tragenden Frau mit Kinderwagen ähnlich passiert. Sie hat mir zugezwinkert und wir haben Blicke ausgetauscht.“ Lena glaubt, damit kommt ein stilles Einverständnis zum Ausdruck. „Das sind Zeichen der Komplizenschaft und gegenseitigen Ermutigung. He, alle teilen uns ihre Mißbilligung mit. Aber wir tragen es trotzdem. Es ist interessant, weil man den Eindruck hat, die Frage der Rebellion dreht sich auf einmal um.“ Für die Frauen ist es vielleicht ein Symbol des Widerstandes gegen diese Form der Unterdrückung, gegen die Mißbilligung ihrer Kleidung, ihrer Kultur, gegen Verbote, gegen Abneigung und Geringschätzung. Eine „Jetzt aber erst recht-Mentalität. „Ich kann trotzdem alles machen OBWOHL ich Kopftuch trage.“ Allerdings hat Lena gerade bei den Frauen Zweifel bezüglich ihrer eigenen Position. „Die denken vielleicht, ich trage den Niqab aus Glaubensgründen. Was passiert, wenn sie erfahren, dass es eine Performance ist?“
Lena hofft, mit ihrer Aktion viele Leute zum Reden zu bringen. „Es ist gut, wenn eine andere Art der Reflexion einsetzt und Vorurteile abgebaut werden.“ Durch die Bilder, die Lena im Zuge ihrer Performance liefert, die verhüllte Autofahrerin, die Fahrradfahrerin in der Stadt, die Frau am Bankomaten, möchte sie gerne anderen Inspiration sein. Sie hofft, diese Bilder können genutzt werden. Fragen aufzuwerfen sieht sie als Aufgabe und mit ihren Projektfotos zeigt sie Momente, die man in einem klassischen Vorurteil von „so einer Frau“ nicht erwarten würde. „Es geht darum, Vorurteile aller Seiten aufzubrechen und zu zeigen, Frauen die Niqab tragen, können u.a. auch ein Auto einparken.“ „Kunst hat so viel Potenzial. Die Welt verändert sich über Vorbilder. Diese Funktion gilt es maximal zu nutzen. Im Gegensatz zu dem Brecht`schen Zeigefinger nach dem Motto, das ist schlecht und das ist schlecht und das ist....“
Wenn Lena jetzt eine Niqab-tragende Frau auf der Straße sieht, reagiert sie oft immer noch überrascht. Sie findet es selbst interessant, wie das Äußere einer Person bzw. das Aussehen dieser Kleidung sie immer wieder „flasht“ und wie viel Aufmerksamkeit eine Kleidung wie der Niqab tatsächlich auf sich zieht. Natürlich fragt sie sich, ob die Trägerin das Kleidungsstück selbstbestimmt trägt, aus welchem Grund sie es tut. Aus freien Stücken oder aus Zwang. Natürlich ist das schwer bis gar nicht zu erkennen, aber Lena meint, daran, wie eine Person etwas trägt, kann man schon erkennen aus welcher Attitüde heraus es passiert. Wird ein verhüllendes Kleidungsstück als Mittel zur Unterdrückung eingesetzt, ist Lena natürlich komplett dagegen! Ihrer Ansicht nach sollte jede Person selbstbestimmt frei wählen können, z.B. wenn man sich dadurch freier oder geschützter vor sexuellen Blicken fühlt.
Lena sagt: „Ich kann niemandem zu seiner Freiheit verhelfen. Verbote im Sinne der Befreiung, da funktioniert was nicht. Diejenigen, die Freiheit wollen, wissen schon, wie sie das erreichen können bzw. werden einen Weg finden und müssen ihn eben auch selbst finden und selbst gehen.“
Aktuelle Informationen finden sich auf der Homepage, www.staatsaffaire.com